Missbräuchliche Kündigung nach über 30 Dienstjahren und 11 Monate vor der Pensionierung
In der Schweiz besteht für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse grundsätzlich Kündigungsfreiheit. Dies bedeutet, dass eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses jederzeit ausgesprochen werden kann, ohne dass es für die Kündigung einen besonderen Grund braucht (selbstverständlich unter Beachtung der geltenden Kündigungsfristen).
Dieses Kündigungsrecht wird durch die Bestimmungen über die sogenannte missbräuchliche Kündigung eingeschränkt: Eine Kündigung ist missbräuchlich, wenn sie aus einem der in Art. 336 OR genannten Gründe ausgesprochen wird.
Wichtig dabei ist, dass die Partei, welche eine missbräuchliche Kündigung vermutet (in der Regel wird dies der Arbeitnehmer sein), vor Gericht beweisen muss, dass die Kündigung wirklich aus einem der im Gesetz genannten Gründe erfolgt ist. Das heisst, der Arbeitnehmer muss nicht nur beweisen, dass ein Missbrauchstatbestand vorlag, sondern auch, dass der verpönte Grund für die Kündigung tatsächlich kausal war: Der Arbeitnehmer muss beweisen, dass der missbräuchliche Grund ausschlaggebendes Motiv für die Kündigung war.
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann eine Kündigung auch aus anderen Gründen als den in Art. 336 OR genannten missbräuchlich sein, so zum Beispiel aufgrund der Art und Weise, wie die Kündigung ausgesprochen wurde oder auch bei sogenannten Alterskündigungen, wenn also die Arbeitnehmerin nach einer langen Dienstzeit beim Arbeitgeber kurz vor der Pensionierung steht, wobei hier immer eine Einzelfallbetrachtung erfolgt.
Ein solcher Fall lag dem Urteil des Bundesgerichts vom 15. Mai 2023 (4A_117/2023) zugrunde: Mein Klient war über 30 Jahre lang in einem bekannten Zürcher Restaurant angestellt und erhielt rund 11 Monate vor seiner Pensionierung ohne jegliche Vorwarnung die Kündigung (per Einschreiben, ausgesprochen durch den Anwalt des Restaurants). Sowohl das Arbeitsgericht Zürich als auch das Obergericht des Kantons Zürich wie auch das Bundesgericht bejahten die Missbräuchlichkeit der durch den Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung.
Das Gesetz sieht in solchen Fällen vor, dass die Partei, welche eine missbräuchliche Kündigung ausspricht, der anderen Partei eine Entschädigung ausrichten muss. Die Höhe dieser Entschädigung wird gemäss Gesetzeswortlaut vom Gericht "unter Würdigung der gesamten Umstände" festgesetzt. Die Entschädigung darf aber höchstens sechs Monatslöhne betragen.
In der Praxis hat sich eingebürgert, dass die entsprechenden Entschädigungszahlungen regelmässig eher tief ausfallen. Nur in absoluten Ausnahmefällen werden fünf oder sogar sechs Monatslöhne zugesprochen. Im Fall meines Klienten sprach das Arbeitsgericht Zürich – obwohl sämtliche Kriterien erfüllt waren, welche gemäss den Lehrmeinungen eigentlich zu einer Maximalentschädigung führen sollten (sehr lange Dauer des Arbeitsverhältnisses, sehr kurze Zeit bis zur Pensionierung etc.) – eine Entschädigung von lediglich viereinhalb Monatslöhnen zu.
1. Dezember 2024
Genugtuung wegen widerrechtlicher Überwachung
Das Bezirksgericht Bülach hat in einem Urteil vom 26. April 2021 (FV14004) einer geschädigten Person aufgrund einer widerrechtlichen Überwachung/ Observation durch eine Haftpflichtversicherung eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 1'500 zugesprochen. Der Entscheid ist wegweisend, soweit ersichtlich ist bis heute in der Schweiz (noch) kein ähnlicher Entscheid ergangen.
Das Urteil führt eindrücklich vor Augen, zu was ein Unfall, mag er zu Beginn noch so harmlos erscheinen, führen kann, falls der Haftpflichtversicherer nicht gewillt ist, den Fall gemäss geltendem Recht zu regulieren: Mein Klient war ein halbes Jahr lang arbeitsunfähig und konnte seine Arbeitsfähigkeit nach und nach steigern; ein knappes Jahr nach dem Unfallereignis hatte er seine Arbeitsfähigkeit vollumfänglich wiedererlangt. Weil sich der Haftpflichtversicherer weigerte, den Fall anständig zu regulieren, musste das Gericht angerufen werden. Die Klage wurde Anfang 2014 eingereicht, das Urteil erging im Jahr 2021, mehr als sieben Jahre nach Klageeinleitung.
Nebst der erwähnten Genugtuung für die widerrechtliche Überwachung meines Klienten wurde der Versicherer verpflichtet, meinem Klienten Erwerbsersatz zu entrichten und den entstandenen Haushaltsschaden zu bezahlen. Darüber hinaus fiel eine Genugtuung an, welche das Gericht mit Blick auf die Arbeitsunfähigkeit von rund einem Jahr (davon ein halbes Jahr zu 100%) auf Fr. 8'000.00 festsetzte. Schliesslich musste die Versicherung die Gerichts- und Anwaltskosten und auch die Kosten für den medizinischen Gutachter bezahlen. Letztere betrugen über Fr. 30'000.00. Der Prozess kostete die Versicherung inklusive der eigenen Anwaltskosten letzten Endes über Fr. 100'000.00 – ein Mehrfaches des Betrages, welchen mein Klient bei den ursprünglichen Vergleichsverhandlungen bereit war, zu akzeptieren.
1. November 2023
Invalidenversicherung: Leider nicht objektiv
In der Theorie bzw. gemäss Gesetz müssen die IV-Stellen den Sachverhalt von Amtes wegen abklären, das heisst, sie müssen auch nach Gründen suchen, weshalb einer versicherten Person Leistungen zugesprochen werden könnten (und nicht nur umgekehrt). In der Praxis wird jedoch regelmässig versucht, die Ansprüche der versicherten Personen abzuwehren. Es finden sich zum Teil sogar entsprechende Einträge in den IV-Akten, so etwa in einem aktuellen Fall ein Eintrag mit dem Wortlaut "Akten des Krankentaggeldversicherers einholen und schauen, ob diese noch zahlen. Vielleicht haben sie eingestellt und wir können auch abweisen".
Eine fehlende Objektivität der Behörde trägt nicht dazu bei, das Vertrauen der Einwohnerinnen und Einwohner dieses Landes in den Staat zu stärken. Ein solches Vertrauen in den (Rechts-)Staat ist aber eines der Fundamente unserer Gesellschaft. Die einseitige Bearbeitung der Fälle durch die staatlichen Institutionen im Sozialversicherungsrecht ist eines Rechtsstaates nicht würdig.
In einem aktuellen Fall musste sich mein Klient im Jahr 2012 aufgrund eines Herzleidens bei der IV anmelden (dilatative Kardiomyopathie und paroxysmales Vorhofflimmern). Er wurde im Jahr 2015 begutachtet, wobei die Gutachter angaben, die Prognose sei ungünstig, es sei eine Verschlechterung des Gesundheitszustands zu erwarten. Die IV-Stelle liess sich zwei Jahre Zeit, bis sie die Verfügung erliess. In der Zwischenzeit hatte sich die Prognose der Gutachter leider bewahrheitet: Der Gesundheitszustand meines Klienten hatte sich verschlechtert, wie von den Gutachtern befürchtet. Die Verschlechterung (persistierendes Vorhofflimmern mit Leistungseinbusse) war ärztlich dokumentiert und wurde der IV-Stelle mitgeteilt. Die IV-Stelle weigerte sich aber trotz dieser medizinischen Belege, ein Verlaufsgutachten einzuholen, und sie wurde dabei vom Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich unterstützt. Das Bundesgericht war anderer Auffassung: Mit Entscheid vom 10. September 2019 (9C_398/2019) hiess es unsere Beschwerde gut und hielt fest, dass der Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt wurde. Die IV-Stelle musste vom obersten Gericht gezwungen werden, ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen.
Mittlerweile sind seit der Anmeldung zehn Jahre vergangen und mein Klient steht kurz vor der Pensionierung. Wir warten noch immer auf einen Entscheid der IV.
1. September 2023